60 Milliarden Stunden
Rund 60 Milliarden Stunden leisten Frauen jährlich unbezahlte Hausarbeit. Die detaillierten Statistiken zur unbezahlten Arbeit zeigen, dass die beiden Kategorien Kochen und Putzen den meisten Arbeitsaufwand aufweisen. Beides zusammen macht über 30 Prozent der gesamten unbezahlten Arbeit von Frauen aus. Bei den Männern ist der Anteil wesentlich kleiner.(1)
Frauen arbeiten zu einem Drittel bezahlt und zu zwei Drittel unbezahlt, bei Männern verhält es sich genau anders herum. Die Zeit, die Frauen in die unbezahlte Hausarbeit stecken, fehlt ihnen in der Erwerbsarbeit. Auch die unbezahlten Arbeiten an sich sind ungleich verteilt: Während Männer sich eher um ein vorhandenes Auto kümmern und den Rasen mähen, sind Frauen für Waschen, Putzen, Kochen und Einkaufen zuständig. Diese Rollenverteilung hat nichts mit einer möglichen Rollenzuweisung in Bezug auf Kinder zu tun, denn sie ändert sich auch nicht, wenn keine mehr im Haus sind oder es zu keinem Zeitpunkt welche gegeben hat. In den letzten Jahren ist die gesamte Organisation des Haushaltes als Managementaufgabe(2) in den Fokus der feministischen Diskussion gerückt. Diese wird in der Zeitverwendungserhebung des Statistischen Bundesamtes bisher gar nicht erfasst. Gerade in der Lockdown-Situation durch Corona ist die Aufgabe, alles unter einen Hut zu bekommen, als extrem belastend in Erscheinung getreten.(3) Frappierenderweise hat sich in den 20 Jahren der statistischen Untersuchung der unbezahlten Arbeit gerade bei der Hausarbeit, die den größten Teil der unbezahlten Arbeit darstellt, kaum etwas verändert.(4)
Die 60 Milliarden Stunden, die Frauen jährlich unbezahlte Hausarbeit leisten, sind mehr Stunden als Männer im produzierenden Gewerbe einschließlich wirtschaftsnaher Dienstleistungen arbeiten.(5) In den Vorbereitungsgruppen zu den drei Zahlen haben wir lange überlegt, welchen Vergleich wir wählen sollen. Zur Debatte stand noch ein anderer wichtiger Vergleich: Der Vergleich mit dem Volumen der Erwerbsarbeit in Zukunfts- oder in von Nachhaltigkeit geprägten Branchen. Es geht um einen Vergleich von bezahlter und unbezahlter Arbeit, die wichtig ist für die Zukunft unseres Landes. Auch hier sind im Vergleich die unbezahlten Leistungen der Frauen, insbesondere der Frauen im Erwerbsalter, sehr hoch. Effektiv beansprucht die direkte, unbezahlte Hausarbeit mehr Zeit als jede andere Arbeit in einer Branche.(6) Wir haben uns dafür entschieden, die unbezahlte Hausarbeit der Frauen mit dem Sektor zu vergleichen, der in der politischen Diskussion in Deutschland den höchsten Stellenwert genießt. Die größten Unterstützungsleistungen in der durch Corona ausgelösten Krise gehen in den Sektor des produzierenden Gewerbes einschließlich wirtschaftsnaher Dienstleistungen und nicht in die Unterstützung der privaten Haushalte, die in den Lockdowns eine Herkulesaufgabe meistern. Die Zahlen verdeutlichen, wie wichtig die unbezahlte Arbeit, insbesondere die unbezahlte Arbeit der Frauen, für das Funktionieren unserer Gesellschaft ist.
Vorgehensweise für die Berechnung
Das Volumen der unbezahlten Arbeit wird in der Bundesrepublik Deutschland alle zehn Jahre erhoben, zuletzt im Jahre 2012/2013. Die Daten wurden im Jahre 2015 veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt standen für das Volumen der bezahlten Arbeit aufgeschlüsselt nach Wirtschaftszweigen nicht mehr alle Daten zur Verfügung. Deshalb beziehen sich einige Teile dieses Vergleichs auf das Jahr 2015. Auch das Volumen der bezahlten Arbeit insgesamt wird in der Detailgenauigkeit, wie sie für unsere Analysen notwendig wäre, nicht in einer Statistik veröffentlicht. Deshalb mussten unterschiedliche statistische Quellen zusammengeführt werden. Auf der Grundlage der Arbeitsmarktdaten sollte die Agentur für Arbeit in Kooperation mit dem Statistischen Bundesamt regelmäßig solche Statistiken veröffentlichen.
Das Volumen der unbezahlten Arbeit ist der Zeitverwendungs-erhebung 2012/13 entnommen. Die Zeitverwendungserhebung weist die Arbeitsstunden in einer Woche für Männer und Frauen (ab 10 Jahren) aus, die aufs Jahr (52 Wochen) hochgerechnet wurden. Die Aufarbeitung des Statistischen Bundesamtes weist einzelne und summierte Tätigkeiten getrennt nach Männern und Frauen pro Tag als Mittelwert über eine Woche aus. In diesem Zusammenhang wurden die Bereiche Haushaltsführung, Kinderbetreuung, Pflege und andere unbezahlte Arbeit nach Frauen und Männern getrennt pro Tag, aufgeschlüsselt in Haushaltsführung gesamt, Kinderbetreuung und Pflege im Haushalt. Diese Zeiten wurden aufs Dezimalsystem umgerechnet und aufs Jahr (52 Wochen) hochgerechnet. Zur Erfassung des Arbeitsvolumens wurde der Anteil an der Bevölkerung über 10 Jahre getrennt nach Geschlecht multipliziert.
Das Volumen der bezahlten Arbeit wurde dem Mikrozensus als amtliche Repräsentativstatistik über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt in Deutschland entnommen. Die Arbeitskräftestichprobe der Europäischen Union (EU-Arbeitskräftestichprobe) ist in den Mikrozensus integriert. Die Daten aller Menschen, die einer Arbeit nachgehen, sind erfasst, deshalb sind Minijobber*innen, mithelfende Familienangehörige, Selbstständige und sozialversicherte Beschäftigte inkludiert. Auch diese Erhebung weist die Wochenarbeitsstunden aus, die aufs Jahr hochgerechnet wurden.
Fehlerhinweis des Statistischen Bundesamtes: „Bei Stichprobenerhebungen wie dem Mikrozensus treten zwei Arten von Fehlern auf: ein zufallsbedingter und ein systematischer Fehler. Zufallsbedingte Fehler sind Abweichungen, die darauf zurückzuführen sind, dass nicht alle Einheiten der Grundgesamtheit befragt wurden. Als Schätzwert für den zufallsbedingten Stichprobenfehler dient der so genannte Standardfehler, der aus den Einzeldaten der Stichprobe berechnet wird. Für hochgerechnete Jahresergebnisse unter 5 000 und – nach vorläufigen Berechnungen – hochgerechnete Quartalsergebnisse unter 20 000, das heißt für weniger als 50 Fälle in der Stichprobe, geht der einfache relative Standardfehler über 15 % hinaus. Solche Ergebnisse haben nur noch einen geringen Aussagewert und sollten deshalb für Vergleiche nicht mehr herangezogen werden. Hochgerechnete Besetzungszahlen unter 5 000 auf Jahresebene beziehungsweise unter 20 000 auf Quartalsebene werden demzufolge nicht erfasst[…]. Systematische Fehler sind nicht zufallsabhängige Abweichungen, die aus Fehlern auf sämtlichen Stufen der Statistikproduktion resultieren können (zum Beispiel Mängel bei der adäquaten Konzeption der Fragebogengestaltung und der Interviewerschulung, fehlerhafte Angaben der Befragten und der Interviewer, Datenerfassungsfehler). Die Ergebnisse des Mikrozensus hinsichtlich der nach dem Labour-Force-Konzept der Internationalen Arbeitsorganisation (kurz: ILO-Konzept) gemessenen Erwerbsbeteiligung weichen trotz deutlicher Verbesserungen in den letzten Jahren nach wie vor teilweise von denen anderer arbeitsmarktstatistischer Datenquellen ab. Für das Jahr 2013 weist der Mikrozensus im Vergleich zur Erwerbstätigenrechnung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen 6,2 % Erwerbstätige weniger aus.“(7)
Für Deutschland ist dies die einzige Statistik, in der Arbeitsvolumina nach Männern und Frauen getrennt ausgewiesen werden. Um die Darstellung des Volumens der bezahlten Arbeiten möglichst detailliert im Bereich der Dienstleistung und der öffentlichen bezahlten Arbeit darstellen zu können, wurden in Einzelfällen Summen aus Statistiken der Agentur für Arbeit hinzugezogen, die aus dem Jahr 2015 stammen. Zahlen aus dem Jahre 2012 waren in dieser Detailtreue nicht zugänglich. Die Gesamtdarstellung kann unter statistischen Gesichtspunkten im besten Fall Größenordnungen darstellen. Die Anstrengungen, die bei der Erstellung dieser Schätzungen unternommen werden mussten, bitte wir zu würdigen. In Deutschland ist dies der erste Versuch einer solchen Darstellung. Im Vergleich zur Darstellung der Schweizer Arbeitsvolumina ist trotzdem festzustellen, dass dieselbe Aufschlüsselung nicht möglich ist. Unter anderem lassen sich die öffentlichen und privaten Dienstleistungen in Bildung/ Gesundheit/ Soziales anhand der Datenlage in Deutschland nicht gesondert aufführen.
Marilyn Waring, Neuseeländische Ökonomin und Politikerin, veröffentlichte Ende der 1980er Jahre das Buch If Women Counted. A New Feminist Economics. Aus ihrer Erfahrung als junge Abgeordnete und Vorsitzende der Revision der Nationalen Buchhaltung, vergleichbar mit der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR), und deren Anpassung an UN-Standards, folgte, wie sie selbst schreibt, ein brutales Erwachen. Alle Dinge, die ihr politisch wichtig waren, waren in diesen Rechnungen und statistischen Analysen nicht enthalten. Die Nationalparks, die Abwesenheit von Atomenergie, aber auch die gesellschaftlich notwendige Arbeit, die Frauen unsichtbar leisten, werden in der VGR nicht erwähnt. Sie werden in ihrer Bedeutung nicht als Teil des Wirtschaftskreislaufs wahrgenommen und finden deshalb auch keinen Zugang zu finanz- und wirtschaftspolitischen Entscheidungen. Diese Verzerrungen, so Waring weiter in ihrem Buch, machen deutlich, wie mit Statistik Politik gemacht wird. Die Geschichte beginnt eben nicht mit Churchills Anekdote, „vertraue nie einer Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“. Politik ist bereits die Entscheidung, was erhoben und wie es verbucht wird.
Schon 1995 wurde auf der Weltfrauenkonferenz der UN die Forderung erhoben, nationale Wirtschaftsstatistiken um die Erfassung der unbezahlten Arbeit zu erweitern und sie als Teil des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu erfassen, weil unbezahlte Arbeit einen wichtigen Teil unseres Lebensstandards ausmacht und deshalb der statistischen Sichtbarmachung bedarf.
Obwohl die Bundesrepublik Deutschland zu den 189 Staaten gehört hatte, die diese Forderung als Voraussetzung einer Gender Budgeting-Analyse unterschrieben haben, ist seither nur wenig passiert. Die statistischen Daten in der Schweiz sind weitaus besser. Seit 1997 werden alle drei bis vier Jahre innerhalb der Schweize-rischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) zusätzliche Fragen zur unbezahlten Arbeit gestellt und ein Jahr später veröffentlicht. In der Bundesrepublik Deutschland werden die Daten zur unbezahlten Arbeit nur alle 10 Jahre erfasst und erst einige Jahre nach ihrer Erhebung veröffentlicht. Dennoch ist davon auszugehen, dass die Zahlen sich nicht so sehr unterscheiden. Auch in Deutschland wird die immense Leistung der Frauen für unsere Gesellschaft nicht ernsthaft gezählt.
Politische Entscheidungen werden auf der Grundlage von Nicht-Wissen gefällt. Dies kann vor allem dann zu fatalen Ergebnissen führen, wenn beispielsweise Kürzungen und Privatisierungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge dazu führen, dass zu erbringende Leistungen in private Haushalte verlagert und dort in aller Regel von Frauen erbracht werden.
Den deutschen Initiator:innen ist es wichtig die Dimension der finanziellen Benachteiligung der Frauen in Euro zu beziffern, aber auch die Stunden zu zählen, die Frauen unbezahlt arbeiten. Der Tag hat für alle nur 24 Stunden und Stunden sind nach Waring die Währung der Frauen.
Ziel dieser Veröffentlichung ist es, diese großen Zahlen zum Dauerthema in der politischen Öffentlichkeit zu machen und sie in einen wirtschaftspolitisch relevanten Zusammenhang zu bringen. Um zu illustrieren wie unglaublich viele Milliarden es sind, hat Christine Rudolf gemeinsam mit der AG #CloseEconDataGap ebenso große Zahlen wie in andern Bereichen des Wirtschaftens gesucht. Die unglaubliche Menge an unbezahlter Arbeit, die Frauen leisten, wird mit relevanten ökonomischen Vergleichen sichtbar und ihre wirtschaftspolitische Relevanz verständlich gemacht. Zu zählen was zählt, wäre ein wichtiger Beitrag, diese Größenordnungen in das öffentliche und politische Bewusstsein zu bringen und ein großer Schritt zu einer erstzunehmenden Analyse der Verteilungsgerechtigkeit von öffentlichen Haushalten.
Denn der Diskurs um die Erwerbsquote von Frauen und ihre mangelnde Präsenz in Führungspositionen lassen völlig außer Acht, dass dringend ökonomisch und ethisch vertretbare Modelle der Care-Arbeit entwickelt werden müssen. Wenn nicht mehr Frauen diese Arbeit unbezahlt leisten, wer leistet sie dann und zu welchen Bedingungen?
380 – 825 – 60 nimmt die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge in den Fokus und liefert damit brisante Informationen für die Öffentlichkeit. Dabei ist nicht nur die Politik, sondern auch die universitäre Forschung in der Pflicht. Nach Ansicht der Initiatorinnen des Projektes wäre es zudem eine Kernaufgabe für die wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten, sich mit den ökonomischen Zusammenhängen zwischen monetärer Wirtschaft und den Bereichen der unbezahlten Arbeit zu befassen. Sie fordern, dass die universitäre Forschung dieser Aufgabe endlich nachkommt. Christine Rudolf erklärt: „Bis heute beschränkt sich die Wirtschaftstheorie auf die Analyse der direkt geldgesteuerten Wirtschaft. Der enorme Beitrag der unbezahlten Arbeit für unseren Lebensstandard wird dadurch unsichtbar und als scheinbar unendlich verfügbar angenommen, was nicht realistisch ist. Frauen und Männer arbeiten Vollzeit, Frauen sehr viel mehr unbezahlt und schlechter bezahlt als Männer.“ Und sie fordert: „Diese Tatsache muss endlich Eingang finden in die Wirtschaftstheorien.“
Nach dem Frauen*streik ist vor dem Frauen*streik!
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(1) Frauen arbeiten wenn die bezahlte und die unbezahlte Arbeit zusammen gerechnet wird in der Woche eine Stunde mehr als Männer. Zu diesem Ergebnis kommt die 2012/2013 durchgeführt Zeitverwendungsstudie, siehe Pressemitteilung Statistisches Bundes-amt vom 18.05.20155. Online: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Frueher/PD15_179_63931.html, geprüft 15.03.2021 Eine ILO Studie über die Arbeitsbedingungen in 41 Ländern kommt zu dem Ergebnis, dass in Deutschland Frauen 4 Stunden und 29 min. täglich unbezahlt arbeiten. Die Zeiterhebung des Bundesamtes für Statistik kommt nur auf 3 Stunden und 49 min, sowie https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/Zeitverwendung/_inhalt.html, geprüft 15.03.2021
(2) https://www.deutschlandfunkkultur.de/mental-load-wie-gerechte-arbeitsteilung-in-der-familie.976.de.html?dram:article_id=471456, geprüft 15.03.201
(3) https://www.rnd.de/familie/corona-als-chance-warum-eltern-die-aufgabenlast-jetzt-noch-mal-neu-verhandeln-konnen-HBXHXEN7KJDL7JA5UU4CBL6ZDY.html, geprüft 15.03.2021
(4) https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Frueher/PD15_179_63931.html, geprüft 15.03.2021
(5) 61 Milliarden Stunden arbeiten Frauen im Haushalt gegenüber 60 Milliarden Stunden, die Männer in den beiden Branchen arbeiten, nach eigenen Berechnungen auf der Grundlage der Zeitverwendungserhebung des Statistischen Bundesamtes (https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/Zeitverwendung/_inhalt.html), geprüft 15.03.2021
(6) https://www.christine-rudolf.de, geprüft 15.03.2021
(7)https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetigkeit/Methoden/Erlaeuterungen/erlaeuterungen-etr-zum-mz.html, 13.03.2021
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